Neben Schäferhund, Schrankwand und Hirschgeweih gilt der Schrebergärtner – auch Laubenpieper genannt – als das Symbol der deutschen Spießigkeit schlechthin.
Als ich selbst des Lesens und Schreibens noch nicht mächtig war, bin ich jahrelang dem phonetischen Trugschluss aufgesessen, beim Schrebergarten handele es sich um einen „Strebergarten“. Ein Missverständnis, das durch das Verhalten der mir bekannten Kleingärtner damals durchaus untermauert wurde: Wer hat die schönste Laube, wer die akkurateste Rasenkante und wer den ökologisch wertvollsten Komposthaufen? Dass das Zusammenleben der Schrebergärtner und die Verteilung und Pflege ihrer Parzellen nicht nur durch eine Vereinssatzung, sondern sogar durch das Bundeskleingartengesetz, BKleingG, so exakt geregelt ist, wie die Grenze zwischen Zier- und Nutzpflanzen verläuft, verleitet böse Zungen zu der Aussage, der Kleingärtner sei auch immer ein Kleinbürger. Doch weit gefehlt!
Schrebergärtner von heute sind die wahren Ökologen, die in den Betonwüsten der Großstädte kleine grüne Oasen schaffen. Studien haben bewiesen, dass Schrebergärtner gesünder und glücklicher leben als ihre gartenlosen Mitbürger. Und wer im eigenen Paradies mit Laube Biogemüse anpflanzt und seinen Küchenmüll recycelt, kommt gar nicht erst auf den Gedanken, mit seinem Nachbarn hinter dem Maschendrahtzaun Streit anzufangen.
Die Kleingärtnerei ist nicht nur eine deutsche Erfindung, deren Namensgeber der Leipziger Arzt und Hochschullehrer Moritz Schreber war: Er warb im 19. Jahrhundert für „Armen- und Specialgärten“, in denen die Stadtjugend durch Arbeit im Grünen Ertüchtigung erfahren sollte. – Ansonsten fiel der etwas merkwürdige Herr Schreber mehr mit abstrusen Erfindungen von mechanischen Vorrichtungen zur Verhinderung der Masturbation oder von „Geradhaltern“ für korrektes Sitzen auf. Schreber gilt sogar als Vertreter der sogenannten „Schwarzen Pädagogik“, was nun wirklich nichts mit dem idyllischen Kleingärtnern zu tun hat. – Nirgendwo in Europa gibt es heute mehr organisierte Kleingärtner als bei uns. Einer Million deutschen Laubenpiepern folgen immerhin noch achthundertfünfzigtausend in Polen, während in Norwegen nur etwa zweitausend gezählt werden. Das Zentrum der deutschen Kleingärtner liegt in der hippen Hauptstadt Berlin mit fast siebzigtausend Parzellen, die höchste Laubendichte mit etwas mehr als sechs Schrebergärten pro hundert Einwohner verzeichnet die Statistik in Leipzig. Und selbst in München oder Köln, wo Normalverdiener fast keine bezahlbare Mietwohnung mehr finden, werden immerhin noch achttausend Kleingärtner gezählt, die für einen Cent-Betrag pro Quadratmeter ein Gartenstück pachten können. Als Gegenleistung verpflichten sie sich zu gemeinnütziger Arbeit in der Anlage und dass ein Drittel des Gartens für den Obst- und Gemüseanbau genutzt wird.
Zwar liegt das Durchschnittsalter der deutschen Kleingärtner bei rund sechzig Jahren, was aber gewiss daran liegt, dass man seinen Garten gewöhnlich bis ins höchste Alter behält. Heute gibt man aus Altersgründen öfter das Papstamt auf als einen Kleingarten. Zugleich steigt die Zahl der jungen Familien, die sich sogar auf Wartelisten setzen lassen, um in den Genuss eines Schrebergartens zu kommen. Was die Schrebergärtner für die Gesellschaft leisten, hat das Office International du Coin de Terre et des Jardins Familiaux, eine seit 1926 bestehende Vereinigung von über drei Millionen europäischer Kleingärtner, schriftlich festgehalten: Sie bieten Arbeitslosen das Gefühl, gebraucht zu werden und noch dazuzugehören, und helfen dabei, Müßiggang zu vermeiden. Sie bieten Senioren individuelle Selbstverwirklichung im dritten Lebensabschnitt und tragen zur Zusammenführung der Generationen bei. Und Immigranten bieten die Kleingärten die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und sich besser in ihrer neuen Heimat zu integrieren.
Dass nicht alle Kleingartenvereine diese Ideale kennen und leben, bewies der schleswig-holsteinische Kleingartenverein Harksheide Kringelkrugweg, der traurige Berühmtheit damit erlangte, für seine Anlage eine Ausländer-Höchstquote zu beschließen. Dies ist abzuhaken unter der Kategorie schwarzer Schafe, die wohl überall anzutreffen sind.
Der brave und tolerante deutsche Schrebergärtner hingegen dient heute weltweit als Vorbild: Seit 2003 gibt es auf den Philippinen Kleingartenanlagen für städtische Arme. Und in manchen afrikanischen Städten werden Kleingartenanlagen als Strategie der Ernährungssicherung diskutiert und ausprobiert. Dass Kleingärtnerei nichts mit Kleinbürgertum zu tun haben muss, bewies bereits die Bundesgartenschau 2005, auf der eine Laube mit Feng-Shui-Wasserbrunnen unter dem Motto „Der Kleingarten steht für Wellness und Fitness“ präsentiert wurde.
Die Altachtundsechziger wollten einst die Welt verändern und Frieden schaffen ohne Waffen. Heute geben sie sich damit zufrieden, im Schrebergarten Biogemüse – und hinter der Laube heimlich Hanf – anzupflanzen und tun damit vielleicht mehr für die Natur als je zuvor.
Harry Luck
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